Bube, König, Truss – die Karten werden neu gemischt
Boris Johnson ist vorerst Geschichte, König Charles III. besteigt den Thron und Mary Elizabeth „Liz“ Truss tritt nach nur 45 Tagen im Amt als Premierministerin zurück – die politische und wirtschaftliche Lage in Großbritannien ist momentan desaströs.
Der Tod der britischen Königin Elizabeth II. hat weltweit Betroffenheit und Trauer ausgelöst – auch in Hessen. Ministerpräsident Boris Rhein erinnerte daran, dass die Königin aufgrund der historischen Wurzeln ihrer Familie dem Land Hessen sehr verbunden gewesen sei: „Mit Queen Elizabeth II. ist eine beeindruckende Persönlichkeit von uns gegangen, ein Stück Großbritannien und eine Sympathisantin Hessens.“
Zwar nimmt das britische Königshaus bei politischen Fragen stets eine neutrale Position ein und hüllt sich meist in Schweigen, im Zuge der Brexit-Debatte Anfang 2019 machte die Queen jedoch eine viel beachtete Ausnahme. Die britische Tageszeitung „Times“ titelte damals: „Queen zu kriegführenden Politikern: Beendet die Brexit-Fehde.“ Auch König Charles III. betonte in der Vergangenheit stets die Verbundenheit Großbritanniens mit Europa, insbesondere mit Deutschland.
Mit Queen Elizabeth II. ist eine beeindruckende Persönlichkeit von uns gegangen, ein Stück Großbritannien und eine Sympathisantin Hessens.
Ökonomische Märchenerzählungen
Weitaus größere Auswirkungen auf die zukünftige Rolle Großbritanniens haben die Wechsel an der politischen Spitze des Landes. Nicht wenige politische Beobachter sehen die Ursachen für das derzeitige Chaos darin, dass die Brexit-Blase geplatzt sei. Die negativen Auswirkungen des Brexit wurden lange Zeit totgeschwiegen oder beschönigt – das ändert sich gerade und sorgt für Aufruhr und Aktionismus im politischen Lager. Die Folge: Mit dem früheren Finanzminister Rishi Sunak bekommt Großbritannien den dritten Regierungschef in drei Monaten.
Doch was bedeutet das für das britisch-europäische Verhältnis? Diese und weitere Fragen stellten wir Botschaftsrätin Kathryn Boyd, Direktorin für Deutschland im Department for International Trade sowie Deputy Trade Commissioner for Europe – ihre interessanten Ausführungen lesen Sie hier.
Rishi Sunak will Stabilität in die Staatsfinanzen bringen, Partei und Bevölkerung einigen sowie das Land wieder wirtschaftlich erfolgreich machen. Hehre Ziele, deren Erreichen schwierig sein dürfte. Immerhin beruhigten sich die Kapitalmärkte wieder, nachdem Liz Truss mit ihren Haushaltsplänen die Zinsen für Staatsanleihen rapide steigen und das Pfund gegenüber dem Dollar abstürzen ließ. Sunak hatte die Truss’schen Pläne im Vorfeld als fiskalisch verantwortungslos und „ökonomische Märchenerzählungen“ bezeichnet.
Brexit-Britain ist der kranke Mann Europas
Sunak steht vor großen Herausforderungen: Im Haushalt klafft ein Loch von rund 40 Milliarden Pfund, das gestopft werden muss. Wie das geschehen soll, ist noch unklar. Mehr als 60 % der britischen Wahlberechtigten sind mittlerweile der Meinung, dass der Brexit ein Fehler war. Kein Wunder, denn die Auswirkungen treten immer mehr zutage. Die britische Inflationsrate könnte zu Weihnachten die 20-Prozent-Marke übersteigen und das britische Pfund gilt als die schwächste Währung innerhalb der G7-Staaten. 14 Millionen Briten leben unterhalb der Armutsgrenze, das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps und selbst die Truppenstärke der ehedem so stolzen britischen Armee wurde auf den niedrigsten Stand seit dem 18. Jahrhundert gekürzt.
Deutsch-britischer Handel auf niedrigem Niveau
Eine Sonderauswertung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) im Rahmen der bundesweiten IHK-Umfrage „Going International 2022“ von Anfang Februar 2022 zeigt: Der Brexit macht den deutschen Unternehmen nach wie vor stark zu schaffen. „Wir sind weit davon entfernt, von einer Normalisierung der deutsch-britischen Handelsbeziehungen zu sprechen“, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Dr. Volker Treier.
Durch das Handelsabkommen seien zwar extreme Zollhürden und Marktbarrieren verhindert worden, eine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt könne es aber bei weitem nicht ersetzen. Zudem stehe das Abkommen nach wie vor auf tönernen Füßen, da es von Großbritannien immer wieder in Frage gestellt wird.
„Aktuell rangiert Großbritannien nur noch auf Platz 10 unter Deutschlands wichtigsten Handelspartnern. 2017 lag es noch auf Platz 5“, führt Treier weiter aus. Insgesamt hat die deutsche Wirtschaft mehr als 160 Milliarden Euro im Vereinigten Königreich investiert. Das Land ist damit, gemessen am investierten Kapital, nach den USA der zweitgrößte Investitionsstandort deutscher Unternehmen weltweit. Allerdings erwägt jedes siebte in Großbritannien investierende deutsche Unternehmen eine Verlagerung seiner Aktivitäten von der Insel weg. Hauptdestination ist Deutschland, aber auch andere EU-Länder sowie die Schweiz oder Norwegen werden für einen Standortwechsel erwogen.
Der Brexit hat den deutsch-britischen Handel in den vergangenen fünf Jahren stark getrübt. Es bleibt abzuwarten, wohin die Politik sowie die übergeordneten Themen wie Energie- und Wirtschaftskrise das weitere Geschehen lenken.
Quellen:
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wir in Hessen verneigen uns
tagesschau.de: Queen zu Brexit: Königlich dezente Einmischung
Süddeutsche Zeitung: Wie die britische Regierung Chaos am Finanzmarkt auslöste
tagesschau.de: Truss beim Tory-Parteitag: „Wachstum, Wachstum, Wachstum“
manager magazin: Großbritannien, der kranke Mann Europas
Deutscher Industrie- und Handelskammertag:Brexit-Sonderauswertung: Trennungsschmerz hält an
Tagesspiegel: „Die Blase ist geplatzt“: Wie geht es weiter mit den Briten?
Wir sind weit davon entfernt, von einer Normalisierung der deutsch-britischen Handelsbeziehungen zu sprechen.
Weitere Ergebnisse der Sonderauswertung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) finden Sie in unserem Beitrag Stimmungsbild deutsch-britische Handelsbeziehungen

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