@HTAI, 21.05.2019 Hessen Trade & Invest

Die Qual der Wahl

Der Brexit ist verschoben – bis spätestens Ende Oktober soll der geregelte Austritt nun gelingen. Ab 23. Mai sind jedoch Europawahlen. Und an denen muss Großbritannien teilnehmen, was eigentlich niemand so richtig will.

Europa wählt und die Briten wählen mit – doch welches Gesicht die EU nach der Wahl hat, ist ungewisser als je zuvor. © shutterstock.com/ vchal

Wäre der Brexit ein James Bond-Film, hätte sich der finale Showdown auf den 14. April zugespitzt. Hektische Szenen, überraschende Wendungen und ein Countdown, der erbarmungslos herunterzählt. Doch zum großen Knall in Form eines ungeregelten Brexits kam es nicht. Beim Sondergipfel des Europäischen Rats am 11. April wurde Großbritannien eine erneute Brexit-Verschiebung in Form einer Flextension angeboten, welche das britische Parlament kurz darauf annahm.

Damit ist zwar Zeit gewonnen, ein harter Brexit aber noch nicht vom Tisch. Denn sollte sich im Unterhaus bis 31. Oktober 2019 keine Mehrheit für das mit der EU ausgehandelte Abkommen finden, droht erneut Chaos. Die Auswirkungen des Brexits bekommt Hessens Wirtschaft schon jetzt zu spüren – in vielen Unternehmen kostet die anhaltende Unsicherheit Nerven, in manchen sogar Arbeitsplätze. Doch nicht nur Unternehmen sind vom Hin und Her betroffen, auch die vielen in Hessen lebenden britischen Staatsbürger machen sich Sorgen um ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland. Immer mehr Briten beantragen daher die deutsche Staatsbürgerschaft. So wie Chris Mason aus Frankfurt am Main, der nun etwas beruhigter in die Zukunft blickt: „Das Ganze ist eine riesige Katastrophe. Aber jetzt können die Bekloppten machen, was sie wollen, am Ende des Tages bin ich sicher und es trifft mich nicht so hart.“

Das Ganze ist eine riesige Katastrophe. Aber jetzt können die Bekloppten machen, was sie wollen.

CHRIS MASON, in Frankfurt lebender Brite nach seiner deutschen Einbürgerung

Die politische Lage in Großbritannien wird währenddessen immer instabiler. Premierministerin May ist in ihrer Position geschwächt und brachte schon selbst ihren Rücktritt ins Spiel. Die Labour-Opposition scheint sich auf keine klare Linie festlegen zu können, nahm aber zumindest die Einladung der Regierung zur Zusammenarbeit an. Ein zweites Referendum wird politisch mal kategorisch ausgeschlossen, mal zaghaft befürwortet und von großen Teilen der Bevölkerung vehement gefordert.

Den Unwillen des Volkes über ihren Schlingerkurs bekamen die politisch Handelnden Anfang Mai bei den Kommunalwahlen in England und Nordirland zu spüren. Während Konservative und Labour teils deutliche Verluste hinnehmen mussten, profitierten Liberale und Grüne vom Brexit-Frust.

Einig war man sich bisher nur über eines: Großbritannien sollte nicht an den Europawahlen teilnehmen müssen. Austrittswillige, die Parlamentarier entsenden und womöglich gegen EU-Interessen handeln? Auf EU-Seite kaum vorstellbar. Und dennoch scheint genau das Realität zu werden. Als einzige Hoffnung bleibt, dass der Brexit vor der konstituierenden Sitzung des neu gewählten EU-Parlaments am 2. Juli gelingt. Anderenfalls dürfte wohl die neu gegründete Brexit-Partei um den ehemaligen UKIP-Chef Nigel Farage die größte Abordnung aus Großbritannien stellen. Vor dem Hintergrund des Aufschwungs solch populistischer Parteien in ganz Europa sagte Hessens Europaministerin Lucia Puttrich beim Aktionstag der nord- und osthessischen Europaschulen: „Die Wahl wird die Richtung weisen, welchen Weg Europa in den nächsten Jahren gehen wird.“

Die Wahl wird die Richtung weisen, welchen Weg Europa in den nächsten Jahren gehen wird.

LUCIA PUTTRICH, Hessische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten

Positive Worte für den zukünftigen, europäischen Kurs findet Friedrich von Heusinger, Leiter der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union in Brüssel. In einem Interview mit der FAZ macht er deutlich: „Der Brexit ist eine Zäsur, keine Krise.“ Die Einigkeit, die die Mitgliedstaaten im Brexit-Prozess gezeigt haben und die Debatten, die geführt wurden, haben vielen Europäern bewiesen, wie wichtig ein geeintes Europa ist. Aktionsprogramme wie das der Hessischen Landesregierung zur Europawahl, sowie die aktive Präsenz des Bundeslandes in Brüssel bewiesen, welchen Stellenwert Europa in Hessen hat: „Europa wird wieder positiver wahrgenommen. 63% der Deutschen sagen, dass unser Land ohne die EU schlechter dastünde.“

Auch andere Mitglieder des hessischen Kabinetts setzen ein klares Signal für Europa und besuchen EU-Projekte und -Einrichtungen in Hessen. Ministerpräsident Volker Bouffier und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir betonen dabei gemeinsam: „Es ist wichtig, wer uns künftig in Europa vertritt. Wir wollen, dass die EU auch weiter von Europafreunden und nicht von ihren Gegnern regiert wird.“ Bleibt zu hoffen, dass Wähler in ganz Europa – Großbritannien eingeschlossen – dies genauso sehen. Sonst könnte am Ende auch kein James Bond mehr die EU retten.

Der Brexit ist eine Zäsur, keine Krise.

FRIEDRICH VON HEUSINGER, Leiter der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union in Brüssel

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