Ein Etappenerfolg ist noch kein Grund zur Erleichterung
Es war ein zähes Ringen über anderthalb Jahre – das Ergebnis: 585 Seiten stark ist das Austrittsabkommen, auf das sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU auf einem Sondergipfel mit dem Vereinigten Königreich geeinigt haben. Final geregelt ist damit aber noch nichts, eine signifikante Hürde steht noch bevor: Das Abkommen muss vom britischen Unterhaus und dem Europäischen Parlament gebilligt werden. Gerade auf britischer Seite ist mit starken Widerständen zu rechnen.
Das Austrittsabkommen regelt die Bedingungen, unter denen das Vereinigte Königreich nach 45 Jahren die Europäische Union verlässt. Ergänzt wird es durch eine politische Erklärung zu den künftigen politischen Beziehungen. Das Austrittsabkommen behandelt Themen wie Bürgerrechte, Schutz von Rechten des geistigen Eigentums, Datenschutz, den Umgang mit im Umlauf befindlichen Gütern und lange strittige Themen wie die EU-Außengrenze zwischen Nordirland und Irland – Stichwort Backstop.
Gemischte Gefühle und noch keine Entspannung
Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist durchwachsen, was die Einschätzung des Austrittsabkommens betrifft: „Das Austrittsabkommen ist ein faires Angebot an Großbritannien, den harten Brexit zu verhindern und eine enge Partnerschaft mit dem Kontinent aufzubauen. Die EU ist damit ihrer Verantwortung nachgekommen, den Schaden für Bürger und Unternehmen möglichst im Rahmen zu halten“, sagt etwa Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.) mit Sitz in Frankfurt am Main.
Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), sieht die Entwicklungen kritisch: „Es gibt keine Entwarnung und für Erleichterung ist es zu früh. Die Lage im Vereinigten Königreich ist beunruhigend.“
Eine Einigung muss bald geschehen, denn ohne Austrittsabkommen ist auch die Übergangsfrist nicht realisierbar, die das Vereinigte Königreich zumindest übergangsweise noch in der Zollunion und im EU-Binnenmarkt halten würde. Gerade für Unternehmen ist diese Übergangsfrist mitunter existenzrelevant, bietet sie doch die Möglichkeit, sich auf einen veränderten Rechtsrahmen einzustellen.
„Solange das Austrittsabkommen nicht ratifiziert ist, empfehlen wir Unternehmen auch weiterhin, sich auch auf den Fall eines chaotischen Brexits vorzubereiten. So bedauerlich dies wäre, es ist zu früh, sich bezüglich der Brexit-Vorbereitungen zu entspannen“, resümiert auch Dr. Rainer Waldschmidt, Geschäftsführer der Hessen Trade & Invest GmbH.
Ein Entwurf sagt noch nicht viel
Es bleibt also ungewiss – und auch wenn das Austrittsabkommen Vorschläge für viele strittige Fragen liefert, eine Hürde gilt es, noch zu nehmen: Am 11. Dezember 2018 muss das britische Unterhaus über das Abkommen abstimmen. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass viele Parteien und einige der Tory-Abgeordneten planen, gegen das Abkommen zu stimmen. Der zurückgetretene Dominic Raab wird deutlich in seiner Kritik an der Verhandlungsstrategie der Premierministerin und äußerte, sollte der Deal so bleiben, wäre das Vereinigte Königreich besser dran mit einem No-Deal-Szenario. Dies würde einen ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU bedeuten.
Es gibt keine Entwarnung und für Erleichterung ist es zu früh. Die Lage im Vereinigten Königreich ist beunruhigend.
Solange das Austrittsabkommen nicht ratifiziert ist, empfehlen wir Unternehmen auch weiterhin, sich auch auf den Fall eines chaotischen Brexits vorzubereiten.
Hier wird Theresa May Widerstände überwinden müssen. Die britische Premierministerin zeigt sich weiterhin kämpferisch in der Verteidigung des Austrittsabkommens und macht dem Kalkül der Brexit-Hardliner eine deutliche Ansage: „Wenn Leute meinen, dass es hier irgendwie weitere Verhandlungen geben könnte, dann ist das nicht der Fall.“
EU-Unterhändler Michel Barnier betonte ebenfalls, dass die EU-27 allen britischen Widerständen zum Trotz keine Neuauflage des Abkommens zulassen dürfen. Von Seiten der EU gebe es nur noch in einigen wenigen Punkten des Abkommens Handlungsspielraum.
No-Deal bedeutet mehr Risiko
Die Bank auf England hat anhand eines Stresstests vorgerechnet, welche Risiken ein No-Deal-Szenario für Großbritannien haben könnte. Die Analyse zeigt, dass Großbritannien im Falle eines ungeordneten Austritts mit der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg rechnen könnte. Ohne Abkommen zum 29. März 2019 könnte die britische Wirtschaft innerhalb eines Jahres um 8 Prozent schrumpfen, die Arbeitslosigkeit würde drastisch zunehmen und das britische Pfund dürfte um bis zu 25 % zum US-Dollar nachgeben. Preise für Häuser könnten um knapp ein Drittel fallen. Großbritannien würde vom Brexit wirtschaftlich stärker getroffen werden als von der Finanzkrise 2007. Klar ist, dies ist ein Worst-Case-Szenario, aber eben dieses muss man im Hinterkopf haben, solange es keine verbindlichen Regelungen zum Austritt gibt. Die Bank of England versichert in ihrer Analyse aber ebenso, dass britische Banken auch für einen ungeordneten Austritt gerüstet sind und wirtschaftliche Schockwellen absorbieren können.
Wenn Leute meinen, dass es hier irgendwie weitere Verhandlungen geben könnte, dann ist das nicht der Fall.

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