Eine Bestandsaufnahme: Stühlerücken in London, Brexit-Befürworter treten zurück
Von sommerlicher Ruhe ist beim Blick über den Kanal wenig zu spüren. Mit Boris Johnson und David Davis treten zwei prominente Brexit-Befürworter und Mitglieder des May-Kabinetts zurück. Nicht nur die Politik zeigt sich in Bewegung, auch Wirtschaft und Universitäten fordern Klarheit und Verbindlichkeit.
Kurz vor der politischen Sommerpause ist es Premierministerin May gelungen, in einer elfstündigen Kabinettssitzung Brexit-Gegner und -Befürworter zumindest vorerst auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Das Ergebnis wurde in einem White Paper zum Brexit festgehalten: „Unser Vorschlag läuft auf die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hinaus. Wir werden ein gemeinsames Regelwerk zum Handel mit industriellen und landwirtschaftlichen Gütern schaffen. Es wird daran keine Änderungen geben, ohne dass unser Parlament ihnen zustimmt.“
Das Ergebnis ist im Sinne Mays, denn es gibt ihr die Möglichkeit, jetzt die Verhandlungen mit der EU voranzubringen und Großbritannien möglichst nah an der EU zu halten.
Ein Ergebnis freilich, das für Unruhe sorgt und London womöglich eine Regierungskrise beschert: Gleich zwei prominente Brexit-Befürworter und Kabinettsmitglieder traten als Reaktion auf die Abstimmung zurück. Brexit-Minister David Davis war eine der Schlüsselfiguren im Kabinett Mays und hat seit über einem Jahr die Brexit-Verhandlungen in Brüssel geführt. Der Befürworter eines harten Brexits ist nach der Abstimmung am 7. Juli zurückgetreten. In einem Schreiben sagt Davis, dass die eingeschlagene politische Richtung Großbritannien in eine schwache Verhandlungsposition brächte.
Außenminister Boris Johnson zog einen Tag später dieselben Konsequenzen und verkündete seinen Rücktritt mit der Begründung, der jetzige Plan der Regierung „läuft auf eine Kolonie hinaus“. Johnson galt als einer der stärksten Kritiker Theresa Mays und hatte wiederholt für einen harten Brexit plädiert. Ihm folgt der bisherige Gesundheitsminister und Vertraute Mays Jeremy Hunt ins Amt des Außenministers.
Unser Vorschlag läuft auf die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hinaus.
Die Wirtschaft zeigt sich besorgt
Die politischen Entwicklungen tragen nicht dazu bei, eine verunsicherte britische Wirtschaft zu stärken. Zunächst hatte man die Einigung der britischen Regierung begrüßt, nah am EU-Binnenmarkt zu bleiben.
Viele Branchen haben bereits im Vorfeld des Brexits mit Einbußen zu kämpfen. So auch der Maschinenbau: Entgegen aller positiven Tendenzen der Branche sind Maschinenexporte nach Großbritannien im vergangenen Jahr um 2 Prozent zurückgegangen, für das erste Quartal dieses Jahres waren es sogar schon 3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Ein Grund hierfür: die anhaltende Weigerung der britischen Regierung, klare Vorstellungen für die Zeit nach dem EU-Austritt zu formulieren. Die Wirtschaft reagiert mit Verunsicherung und eben rückläufigen Zahlen. Karl Haeusgen, Vizepräsident des VDMA, der größten Netzwerkorganisation des europäischen Maschinenbaus, zieht daraus klare Schlüsse: „Die britische Regierung muss endlich klare Vorstellungen über die Zeit nach dem EU-Austritt formulieren, um den Schaden für die Wirtschaft in Grenzen zu halten. [...] Die Bundesregierung muss sich bei Premierministerin May dafür einsetzen, die Gespräche jetzt auf eine konstruktive Ebene zu bringen.“
Auch andere Branchen warnen mit Konsequenzen angesichts eines wachsenden Pessimismus und zunehmender Skepsis bezüglich des drohenden Szenarios eines harten Brexits. Der Flugzeugbauer Airbus und der Autokonzern BMW drohen ebenso mit einem Rückzug von der Insel wie der traditionsreiche britische Autohersteller Jaguar Land Rover, der bei einem schlechten Brexit-Deal mit einem Verlust von 1,2 Milliarden Pfund rechnet. Der Autohersteller ist Arbeitgeber für 40.000 Beschäftigte im Vereinigten Königreich und hat 90 Milliarden Euro Investitionen für die kommenden fünf Jahre in Großbritannien geplant. Wenn die Bedingungen stimmen.
Studiengebühren werden vorerst nicht erhöht
Auch der Bildungssektor ist betroffen. Die renommierten britischen Universitäten sind attraktiv für Studierende aus anderen EU-Ländern, rund 135.000 Studierende waren zuletzt an britischen Universitäten vor allem in den Fächern Jura, Politik und Soziologie eingeschrieben. Das entspricht 7,2 Prozent der Gesamtzahl der Studierenden in Großbritannien. Die Rektoren britischer Universitäten hatten sich Anfang des Jahres besorgt an die Regierung gewandt, da nach dem Brexit die Studiengebühren für Studenten aus dem EU-Ausland drastisch steigen könnten. Die Sorge war, dass die Zahl der EU-Studierenden um 60 Prozent fallen könnte. Zumindest für das Studienjahr 2019/20 herrscht nun Klarheit: Wer in dieser Zeit ein Hochschulstudium in Großbritannien beginnt, zahlt wie bisher auch dieselben Gebühren wie britische Studierende (ca. 10.460 Euro pro Semester), Studierende aus Drittstaaten zahlen mehr als doppelt so viel.

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