Move on, Britannia: klare Verhältnisse statt Rosenkrieg
Nachgefragt: Im Februar trafen wir Lucia Puttrich, Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund zum Interview. Nun liegt der ursprüngliche offizielle Austrittstermin hinter uns und die Europawahl steht an. Ein guter Zeitpunkt, nachzufassen und die Ministerin um eine Einschätzung der aktuellen Entwicklungen zu bitten.
Ministerin Puttrich, im Februar sagten Sie, bezogen auf eine Verschiebung des Brexits: „Eine Verschiebung des Brexits macht nur dann Sinn, wenn die Zeit dann auch genutzt wird, um ein entsprechendes Austrittsabkommen zu beschließen. Wenn dies nicht geschieht, macht auch die Verschiebung keinen Sinn.“
Nun ist die Verschiebung eingetreten, wie sehen Sie die Chancen, dass diese Zeit nun sinnvoll genutzt wird? Was sind jetzt die dringendsten Fragen?
Die dringendste Frage ist die altbekannte: Welchen Brexit wollen die Briten? Da sehe ich aber keine wesentliche Bewegung. Die Briten müssen ihre innenpolitische Krise lösen und nicht darauf hoffen, dass die EU das verhandelte Austrittsabkommen doch wieder aufschnürt. Im Moment hat man aber fast den Eindruck, die Ermüdung ist in Großbritannien so groß, dass sich jetzt niemand mit dem Thema beschäftigen will. Vermutlich steht in den nächsten Wochen nun die Europawahl im Vordergrund – vielleicht gibt es danach Bewegung. Aber die gewonnene Zeit verrinnt. Es wäre fatal, wenn wir Ende Oktober keinen Schritt weiter sind als jetzt. Die reale Gefahr sehe ich.
Es wäre fatal, wenn wir Ende Oktober keinen Schritt weiter sind als jetzt.
Was bedeutet die Verschiebung des Brexits bezogen auf die Europawahl?
Die Verschiebung ist für Europa und die Europawahl eine Belastung. Vielen Menschen ist schwer zu vermitteln, dass ein Land, das eigentlich längst ausgetreten sein sollte, nun noch mal Abgeordnete ins EU-Parlament schickt, die dann vermutlich in ein paar Monaten ausscheiden. Meine Sorge ist auch, dass vor allem die britischen Brexit-Hardliner im Parlament Unheil stiften werden. Das haben sie ja schon angekündigt.
Die Verschiebung ist für Europa und die Europawahl eine Belastung.
Welchen Einfluss hat die Verschiebung des Brexits auf die Beziehungen der anderen EU-Staaten / Deutschland zu Großbritannien?
De facto gibt es keine Veränderung in den Beziehungen, denn Großbritannien ist ja weiter EU-Mitglied und bleibt auch ein wichtiger Partner. Tatsächlich spüre ich aber in vielen Gesprächen, dass auf europäischer Seite die Geduld sich dem Ende zuneigt. Das war ja auch beim letzten EU-Gipfel zu spüren. Der Brexit hindert die EU daran, sich mit anderen wichtigen Themen zu beschäftigen. Viele Partner, gerade auch in der Wirtschaft, wünschen sich nun endlich mal Klarheit. Auch die Unternehmen wollen natürlich keinen harten Brexit, sie haben sich aber vorbereitet.
Für wie realistisch halten Sie die Forderung nach einem neuen Brexit-Referendum, die mit der Verschiebung des Brexits wieder lauter wurde? Was würde ein zweites Referendum bringen?
Eigentlich wäre es richtig, wenn die britische Bevölkerung ein zweites Mal abstimmen würde, denn jetzt liegen ganz andere Informationen vor als 2016, was der Brexit bedeutet. Aber auch viele von denjenigen, die eindeutig gegen den Austritt sind, sagen, dass ein zweites Referendum dem tief gespaltenen Land vermutlich nicht helfen würde, weil das Ergebnis vermutlich wieder sehr knapp wäre. Meine Hoffnung ist immer noch, dass die Briten zu einem verantwortungsvollen Handeln zurückkehren und fraktionsübergreifend und konstruktiv an einem Brexit-Szenario arbeiten, das mehrheitsfähig ist.
Frau Ministerin, vielen Dank für das Gespräch.

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