#oneclicktoeurope – von leeren Regalen und Beziehungsarbeit
Livestream aus der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union in Brüssel
Wer Perspektiven aufzeigen will, muss darüber sprechen – das geschieht im Rahmen der Veranstaltungsreihe #oneclicktoeurope regelmäßig zu europäischen Themen in der Hessischen Landesvertretung in Brüssel. Wie am 27. Januar: Paulina Dejmek-Hack sprach mit dem EU-Korrespondenten Hendrik Kafsack. Hier gibt es den Livestream zusammengefasst zum Nachlesen.
Das Thema der Veranstaltung, in der auch Zuschauerfragen beantwortet wurden, war eines, das Europa seit 2016 beschäftigt und im Handels- und Kooperationsabkommen nun zumindest formell seinen Abschluss gefunden hat: die neuen Beziehungen zwischen Europäischer Union und Vereinigtem Königreich.
„Die ersten Auswirkungen des Brexit kann man bereits beim Handel, den Lieferketten, den langen Schlangen der Lastwagen und den leeren Regalen sehen“, sagte die Hessische Europaministerin, Lucia Puttrich, die zu dieser Veranstaltung eingeladen hatte. Das Abkommen mit über 1.200 Seiten enthält auch wichtige Fragen für Hessen, für das das Vereinigte Königreich ein wichtiger Exportpartner ist. „Insbesondere habe man die Auswirkungen auf den Finanzstandort Frankfurt von Anfang an im Blick gehabt. Hessen hatte bereits unmittelbar nach dem Referendum die Stabsstelle Brexit eingerichtet und wird diese weiterhin aufrechterhalten“, betonte die Europaministerin. Zudem bedauerte Lucia Puttrich, dass das Vereinigte Königreich aus dem Erasmusprogramm ausgeschieden sei. Dieses, so die Ministerin, „sei immer auch ein Programm der Begegnung für junge Europäerinnen und Europäer gewesen.“
Paulina Dejmek-Hack, Direktorin der Taskforce der EU-Kommission für die Beziehungen zum Vereinigten Königreich und Mitglied des Verhandlungsteams, erklärte, dass Verhandlungsführer Michel Barnier und seine Mitarbeiter derzeit hauptsächlich damit beschäftigt seien, das geschlossene Abkommen im Zuge des Ratifizierungsprozesses im Europäischen Parlament zu erläutern. In diesem Zusammenhang betonte Dejmek-Hack, dass der vorläufige Status des Abkommens so lange in Kraft bleibt, bis das Europäische Parlament und der Rat formal zugestimmt haben.
Die Verhandlungen selbst seien vom Willen beider Seiten, zu einer Einigung zu kommen, geprägt gewesen, auch wenn enormer Zeitdruck herrschte und sich die EU erstmals in Verhandlungen mit Partnerstaaten nicht um eine weitere Integration eines Partnerstaates bemühte, sondern das genaue Gegenteil verhandeln musste. Des Weiteren sei der Deal im Endergebnis als fairer Kompromiss zu betrachten. Beide Seiten haben in einzelnen Punkten nachgegeben.
Die EU habe es geschafft, Regulierungen einzubringen, die ursprünglich vom Vereinigten Königreich abgelehnt wurden. So gelang es beispielsweise, Vereinbarungen zum Klimaschutz, zu sozialen Themen oder zum Kampf gegen Geldwäsche zu treffen. Die EU habe außerdem gute Werkzeuge, um die Standards beider Seiten auf einem etwa gleichen Niveau zu halten. Zudem stelle das Abkommen eine gute Basis für zukünftig anstehende Themen dar und biete Rahmenbedingungen, die derzeit aus Sicht der EU keinen Raum für Nachverhandlungen lassen.
Die ersten Auswirkungen des Brexit kann man bereits beim Handel, den Lieferketten, den langen Schlangen der Lastwagen und den leeren Regalen sehen.
Aller Anfang ist schwer
Bezüglich der Frage der Ministerin, wie es denn zukünftig mit hessischen Exporten in das Vereinigte Königreich aussehen würde, betonte Dejmek-Hack, dass die EU erstmals ein Handelsabkommen mit einem Drittstaat geschlossen habe, das keine Zolltarife und damit Handelshindernisse beinhaltet. Dazu seien die ersten sichtbar gewordenen Probleme nach Inkrafttreten des Abkommens am 1. Januar 2021 hauptsächlich auf britischer Seite zu finden. Sie habe das Gefühl, dass die EU-Unternehmen sehr gut auf die Veränderungen vorbereitet seien. Man müsse sich darauf einstellen, dass anfängliche Schwierigkeiten zwar mit der Zeit vergehen würden, gewisse Hindernisse aber als direkte Folge des Brexit bestehen bleiben würden. Sollten dennoch Anpassungen des Abkommens nötig sein, so könnten diese in den neu geschaffenen Gremien (u.a. dem Partnerschaftsrat) im Dialog besprochen werden. Alle anderen Punkte, über die derzeit als Teil einer möglichen Nachverhandlung spekuliert werden, seien bereits Teil der ursprünglichen Verhandlung gewesen und standen bei den Briten weitestgehend nicht zur Diskussion.
Auf die Frage, wie es im Hinblick auf den Standort Frankfurt mit den Finanzdienstleistungen weitergehen würde, führte Dejmek-Hack aus, dass das Äquivalenzregime eine gute Basis für alle Fragen der Finanzdienstleistungen sei. Das britische System werde analysiert werden und die daraus resultierenden Äquivalenzentscheidungen würden auch in Zukunft im besten Interesse der EU getroffen werden. Ein Memorandum of Understanding sei derzeit noch in Planung und werde hauptsächlich die Themen Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit der Finanzen beinhalten, aber keine regulative Wirkung auf den Marktzugang der Briten haben. Bereits jetzt, als direkte Konsequenz des Abkommens, haben sich große Teile der europäischen Börsenaktivität in den EU-Raum verlagert, betonte Dejmek-Hack. Schließlich wurde noch die Frage aufgeworfen, ob London deshalb dazu neigen könnte, sich als Steueroase zu etablieren. Dejmek-Hack bekräftigte, dass das Level Playing Field die Haltung der Standards vom 31. Dezember 2020 garantiere und unter anderem auch auf die Steuertransparenz anwendbar sei. Zudem gebe es bereits eine gemeinsame Erklärung der Partner, schädliche Steuerregelungen zu verhindern. Hingegen sei eine Steuerharmonisierung zwischen beiden Seiten in keiner Form von diesem Abkommen gedeckt. Eine solche Regelung gebe es nicht einmal innerhalb der EU zwischen den Mitgliedstaaten. Das Abkommen sei auf jeden Fall eine gute Grundlage für eine intensive Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich und sollte auch Konfliktsituationen aushalten.
Die Veranstaltung zum Nachschauen finden Sie:
auf YouTube (Kanal: Hessen in Berlin und Europa)
auf Facebook
Die ersten sichtbar gewordenen Probleme nach Inkrafttreten des Abkommens am 1. Januar 2021 sind hauptsächlich auf britischer Seite zu finden.

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