Ob Prä- oder Post-Brexit: unruhige Zeiten für eine Schlüsselindustrie
Kein Grund zum Durchatmen – während sich die Details der Handelsbeziehungen einer Post-Brexit-Zeit nach und nach zurechtruckeln müssen, drängen längst andere Themen am Horizont. Holger Kunze, Geschäftsführer des VDMA European Office in Brüssel, blickt im Interview auf die Bedeutung des britischen Markts für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau und erzählt, welche Themen nun, mit Ende der Brexit-Übergangsphase, den VDMA in Brüssel beschäftigen.
Herr Kunze, unser erstes Interview liegt ziemlich genau ein Jahr zurück, damals war der EU-Austritt Großbritanniens gerade vollzogen, nun ist auch die Übergangsphase vorbei: Wie ist die Stimmung in Brüssel mit Blick auf den Brexit-Prozess?
Dass der Brexit bei uns immer noch ein Thema ist, liegt daran, dass das Abkommen zwischen der EU und Großbritannien in einigen Bereichen unklar ist und zu praktischen Schwierigkeiten führt. Dazu erreichen uns regelmäßig Anfragen unserer Mitgliedsunternehmen. Politisch ist es dagegen eher ruhig; außer ein paar Reibungspunkten ist der Brexit gerade kein Thema mehr. Das Handelsabkommen steht. Das Europäische Parlament muss ihm natürlich noch zustimmen, aber politischen Spielraum für Änderungen gibt es natürlich nicht mehr. Zudem ist es bei manchen der „Problem“-Themen mit Blick auf das Vereinigte Königreich gerade schwer zu beurteilen, was hier die Ursache für Schwierigkeiten ist: Brexit oder Pandemie?
Ich würde gerne eine Frage aus unserem letzten Interview aufgreifen: Für Ihre Verbandsmitglieder ist Großbritannien bisher einer der größten Absatzmärkte gewesen, wird das so bleiben? Vor einem Jahr war Ihre Einschätzung nicht sehr optimistisch.
Wir können einen deutlichen Bedeutungsverlust des UK-Marktes für den deutschen Maschinenbau feststellen. Auch da spielen neben dem Brexit sicherlich andere Themen mit hinein. Grundsätzlich aber sind die Handelsbeziehungen komplizierter und teurer geworden. Das macht den UK-Markt weniger attraktiv. Es ist gerade schwer, eine Entwicklung abzusehen. Würden wir eine Momentaufnahme vom EU-Binnenmarkt und seinen Regelungen zum 1. Januar nehmen und ein entsprechendes Bild vom UK-Markt danebenlegen, dann wären beide Aufnahmen in vielen Aspekten noch deckungsgleich. Aber von jetzt an werden sich die Märkte und die Regulierungssysteme voneinander wegbewegen und es wird interessant sein zu sehen, wie diese Bilder etwa in drei Jahren im Vergleich aussehen. Wird Großbritannien noch vergleichbare Produktregelungen haben, die mit denen der EU vergleichbar sind? Was wird mit der Industriebasis in Großbritannien passieren? Gerade die britische Industrie hat immens vom Zugang zum EU-Binnenmarkt profitiert, das wird nun alles schwieriger.
Was für konkrete Probleme können Sie im Moment im Alltag der Handelsbeziehungen feststellen?
Der Maschinenbau ist ja sehr heterogen, es gibt aber drei große Themenkomplexe, die uns nach wie vor begleiten: das Thema Zölle, die Mitarbeiterentsendung und die technischen Anforderungen. Das Problem der Zölle ist ein ganz wesentliches: Mit Austritt aus der Zollunion ist Großbritannien für unsere Mitgliedsunternehmen nun ein Drittstaat. Damit haben viele Unternehmen Erfahrung, aber es bedeutet einfach einen Mehraufwand. Und auf UK-Seite gibt es viele Unternehmen, die nicht gut vorbereitet sind, was sogar dazu geführt hat, dass große Logistiker Großbritannien nicht mehr beliefern. Man muss also momentan sehr darauf achten, im Gütertransport nicht in den falschen Chargen zu landen, die wegen falscher oder fehlender Papiere etwa Wartezeiten an der Grenze verursachen.
Und ganz spezifisch für den Maschinenbau: Unsere Unternehmen müssen regelmäßig Personal nach Großbritannien entsenden, sei es für den Aufbau oder die Wartung von Maschinen. Hier gibt es noch einige Unklarheiten. Nach dem Buchstaben des Gesetzes gilt die Visafreiheit nur für Mitarbeiter der Maschinenhersteller. Was aber, wenn das entsandte Personal von einem anderem Unternehmen kommt? Etwa, weil der Hersteller Produktion und Service in zwei unterschiedlichen Unternehmen organisiert. Gilt dann die Visafreiheit nicht mehr? Das sind Fragen, die im Alltag für Probleme sorgen. Und wir stellen einen konkreten Informationsbedarf zu diesem Thema fest. Wir führen regelmäßig Informationsveranstaltungen durch und verzeichnen jedes Mal weit über 150 Teilnehmer.
Perspektivisch werden sich diese Handelshemmnisse eher ausweiten, je weiter sich die Märkte auseinanderentwickeln. Man denke nur an die technischen Anforderungen an Maschinen. Derzeit sind die Anforderungen in Großbritannien noch die gleichen. Man muss nur das CE-Kennzeichen durch das neue UKCA-Kennzeichen für Großbritannien ersetzen. Zu befürchten steht, dass in Zukunft nicht nur das Zeichen ein anderes ist, sondern sich auch die technischen Anforderungen verändern, die eine Maschine erfüllen muss, um in Großbritannien verkauft werden zu dürfen.
Von jetzt an werden sich die Märkte voneinander wegbewegen.
Jenseits des Brexit: Welche Themen beschäftigen Sie in Brüssel und aber auch Ihre Verbandsmitglieder aktuell bzw. welche Themen kündigen sich an?
Bei den VDMA-Mitgliedern sprechen wir ja von KMUs und da sind die dominierenden Themen ganz klar die Digitalisierung und der europäische Green Deal. Aus dem Mittelstand stammen viele Technologien, die dringende Probleme technisch lösen helfen. Man denke nur an die derzeit intensiv diskutierte Produktion von Impfstoffen. Aber auch mit Blick auf Nachhaltigkeit leistet der Maschinenbau einen entscheidenden Beitrag. Diese Stärke, die Rolle als Möglichmacher, ist aber wenig sichtbar. Die Politik neigt für die großen Themen zu anderen Ansprechpartnern und der Mittelstand steht eher in der zweiten Reihe. Das wollen wir ändern.
Interessant für unsere exportorientierte Branche ist natürlich auch die Ausgestaltung internationaler Handelsbeziehungen: Was bedeutet ein Amerika unter Präsident Biden? Wie stellen wir uns in der Triade USA, China und Europa auf? Das ist auch ein Aspekt, bei dem wir hoffen, dass wir bei allen unterschiedlichen Entwicklungen langfristig wieder enger mit Großbritannien zusammenrücken.
Herr Kunze, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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