Vier Monate Brexit-Deal – eine erste Bilanz
Zum 1. Mai 2021 trat der Brexit-Handelsvertrag offiziell in Kraft. Während in Hessen die bisherigen Auswirkungen eher moderat ausfallen, scheint es für Großbritannien alles andere als rund zu laufen. Wir ziehen eine erste, vorsichtige Bilanz.
Das Brexit-Abkommen war seit dem 1. Januar 2021 vorläufig in Kraft und ist seit dem 1. Mai nun offiziell. Auch wenn die Corona-Pandemie nach wie vor vieles überlagert, wollen wir die Frage stellen: Welche Auswirkungen lassen sich nach diesen ersten vier Monaten beobachten?
Milliardenschaden für die britische Volkswirtschaft?
„Es wird keine nicht tarifären Handelshemmnisse geben“, behauptete Premierminister Boris Johnson immer und immer wieder, wenn er auf den Brexit angesprochen wurde. Was den britischen Premier zu dieser äußerst optimistischen Einschätzung bewogen hat, bleibt sein Geheimnis. Denn genau diese Handelshemmnisse sind jetzt das große Problem für die britische Volkswirtschaft. Gemeint sind all jene Vorschriften, die es Exporteuren erlauben, Güter in die EU einzuführen. Hier kämpfen britische Unternehmen mit einem wahren Bürokratie-Monster: Ausfuhrerklärungen, Herkunftsnachweise, Atteste, Sicherheitsdeklarationen, Waren-Codes, Lieferanten-Statements, Gesundheitszeugnisse und vieles mehr müssen vorgelegt werden.
Jim Harra, Chefbeamter des britischen Finanzministeriums, bestätigte, dass 2021 zusätzliche 215 Millionen Zollerklärungen geleistet werden müssen, was die Volkswirtschaft umgerechnet rund 8,7 Milliarden Euro kosten werde. Die EU schätzt den Brexit-Schaden für Großbritannien im Jahr 2021 auf mehr als 40 Milliarden Pfund, rund 2,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auf europäischer Seite dürfte der Schaden nur 0,5 Prozent betragen. Allein im Januar brachen britische Exporte in die EU um 40,7 Prozent ein.
Hessen gut vorbereitet auf den Brexit
In Hessen setzt man bereits seit dem Austrittsreferendum 2016 auf Zusammenarbeit und die Aufklärung der heimischen Wirtschaft. Dr. Mandy Pastohr, Abteilungsleiterin Außenwirtschaft, Mittelstand, Berufliche Bildung, Technologie im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, unterstreicht den bisher so erfolgreichen Ansatz: „Hessen und Großbritannien verbinden weit in die Geschichte zurückreichende Beziehungen und auch nach Corona und dem Brexit bleibt das Vereinigte Königreich einer unserer wichtigsten wirtschaftlichen Partner. Man muss keine Hellseherin sein: Auch 200 Tage oder 365 Tage nach dem Inkrafttreten des Trade and Cooperation Agreements werden sich weiter Fragen aus der Sicht der hessischen Wirtschaft zum Thema Handel und Investitionen mit dem Vereinigten Königreich stellen. Insbesondere im Bereich der Warenlieferungen, in der Frage tarifärer Hemmnisse und bei der Entsendung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird es auch zukünftig Informationsbedarf geben. Die Hessische Landesregierung wird gemeinsam mit ihren Partnern, den hessischen Industrie- und Handelskammern sowie den Wirtschaftsfördergesellschaften, die betroffenen Unternehmen weiterhin bestmöglich informieren und unterstützen.“
Auch Hessens Europaministerin Lucia Puttrich zieht für Hessen eine erste positive Bilanz. Danach gab es für Hessen bisher weder in der Verwaltung noch in der Wirtschaft spürbare Probleme. Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich sei festzustellen, dass Kontinentaleuropa weitaus besser auf das Ausscheiden Großbritanniens aus dem Binnenmarkt vorbereitet war als viele Unternehmen im Vereinigten Königreich. So wuchsen im Jahr 2020 trotz Corona Hessens Exporte nach Großbritannien um 5 Prozent auf rund 4 Milliarden Euro. Damit liegt Großbritannien bei der Ausfuhr für Hessen auf Rang 4, bei der Einfuhr nach Hessen auf Rang 7.
Die Hessische Landesregierung wird gemeinsam mit ihren Partnern […] die betroffenen Unternehmen weiterhin bestmöglich informieren und unterstützen.
Hessen will erfolgreichen Weg weiterführen
Die frühzeitige Vorbereitung auf verschiedene Austrittsszenarien und die umfassende Informationspolitik für hessische Unternehmen sieht auch Ministerin Puttrich als einen grundlegenden Baustein für den bisherigen, reibungslosen Verlauf: „Diese wichtige Arbeitsstruktur nutzen wir auch weiterhin. Wir betreiben ein aktives Standortmanagement: Für den Finanzplatz Frankfurt am Main, für unseren hervorragenden Logistikstandort, aber auch in vielen anderen Bereichen, angefangen von der chemischen Industrie bis hin zur Forschung und Digitalisierung. Ich bin fest dazu entschlossen, den Brexit für Hessen zu einem Erfolg zu machen.“
Ich bin fest dazu entschlossen, den Brexit für Hessen zu einem Erfolg zu machen.
Wie geht’s weiter für Großbritannien?
Noch gelingt es Premierminister Boris Johnson, alle Zweifel und Kritiken im eigenen Land wegzuwischen. Auch weil die momentanen Erfolge in der Corona-Impfkampagne noch vieles positiv überstrahlen. Doch es scheint an vielen Ecken im Königreich Probleme zu geben. In Nordirland brachen Krawallen aus, die auch auf den Sonderstatus des Landesteils im Brexit-Abkommen zurückgeführt wurden. Die Schotten sind stärker denn je daran interessiert, sich vom Rest der Insel unabhängig zu machen. Und auch persönliche Vorwürfe und Enthüllungen setzen Johnson immer mehr unter Druck. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln, insbesondere sobald die Corona-Pandemie nicht mehr das beherrschende Thema sein wird. Die Vorteile scheinen im Moment jedenfalls klar auf EU-Seite zu liegen.

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