@HTAI, 13.09.2018 Hessen Trade & Invest

„Brexit ist Brexit“ – gleiche Verpackung, strittiger Inhalt

Brüssel ist „not amused“: Zwei Jahre hat es gedauert, nun hat die britische Premierministerin Theresa May Anfang Juli mit dem Weißbuch zum Brexit den Fahrplan ihres Kabinetts vorgelegt. Das Papier legt in Leitlinien fest, wie der Brexit aussehen soll. Die Europäische Union hat in ersten offiziellen Reaktionen deutlich gemacht, dass sie den Brexit-Plan in dieser Form in weiten Teilen ablehnt.

Weißbuch
Das Weißbuch der britischen Regierung – umstrittene Leitlinien für den Brexit

Monatelang wurde in der britischen Regierung verhandelt, nun gibt es ein Ergebnis. Aber: Das Weißbuch, das die Regierung May nach zähen Kabinettsverhandlungen am 12. Juli 2018 vorstellte, ist umstritten: Den Hardlinern ist es zu kompromissbereit. Der Vorwurf lautet, diese Form des Brexits sei zu weich. Befürwortern eines „soften Brexits“ ist das vorgelegte Konzept dagegen nicht weich genug. In der Folge traten Brexit-Minister David Davis und Außenminister Boris Johnson, beides ausgesprochene Brexit-Befürworter, zurück.

In Brüssel zeigt man sich skeptisch: EU-Chefunterhändler Michel Barnier sieht in dem Weißbuch aus London erst einmal Grundlagen für konstruktive Verhandlungen und nicht Ansätze, die so funktionieren können. Die wichtigsten Punkte für die EU: der Schutz des gemeinsamen Binnenmarktes sowie die Zollunion. Hier werde man britisches Rosinenpicken nicht akzeptieren.

Das Brexit-Konzept der Regierung May

Wohl das zentrale Element des Weißbuchs: die gemeinsame Handelszone zwischen der Europäischen Union und Großbritannien. Formal möchte London zwar die EU-Zollunion und den EU-Binnenmarkt verlassen, gleichzeitig aber mit der EU in einer Art Freihandelszone für Güter verbunden bleiben. So sollen Industriegüter und Agrarprodukte auch nach dem Austritt Großbritanniens zollfrei und ohne administrative Hemmnisse den Kanal überqueren. Das ist gerade in der Automobilindustrie notwendig, wo Unternehmen über beide Seiten des Kanals hinweg arbeiten und von zeitkritischen Lieferketten abhängen. Damit verpflichtet sich Großbritannien, sich auch zukünftig an die EU-Vorschriften im gesamten Warenverkehr zu halten.

Diese gelten jedoch nicht automatisch wie innerhalb der EU, sondern müssen erst vom britischen Parlament umgesetzt werden. Das sichert dem britischen Parlament die Souveränität, kann aber auch den Verlust des Marktzugangs zur EU bedeuten, wenn Vorschriften nicht eingehalten werden. Denn Großbritannien will sich lediglich an jene EU-Standards für Waren halten, die an der Grenze geprüft werden – nicht aber an andere, wie etwa Standards zum Umgang mit genmanipulierter Nahrung oder Pestiziden.

Bei dem Luftfahrtabkommen mit der EU, der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), dem EU-Energiemarkt (ACER), der Europol sowie der Justizbehörde Eurojust möchte Großbritannien gegen Zahlungen weiter involviert sein. Dabei ist die Beteiligung Großbritanniens abhängig von den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und den EU-Vorschriften, ohne dass Großbritannien selbst abstimmungsberechtigt ist.

Für Dienstleistungen will Großbritannien eigene Regeln setzen. Die neue Freihandelszone soll, anders als der europäische Binnenmarkt, also keine Dienstleistungen umfassen. Das ist ein strittiger Punkt, denn für die EU sind die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes untrennbar. In Bezug auf den Sektor der Finanzdienstleistungen gibt das Weißbuch keine Leitlinien vor. Hier wird das System der Äquivalenz bestehen – das heißt, dass Brüssel für Drittländer je nach EU-Richtlinie und Finanzprodukt entscheiden kann, ob es einen Marktzugang gibt. Hier hoffen Brüssel und London noch Lücken im System schließen zu können und für beide Seiten zu einem tragbaren Konzept zu kommen.

Ein weiteres heißes Eisen war der Umgang mit der bisherigen grünen Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland. Um hier auch zukünftig auf Zollformalitäten verzichten zu können, muss Großbritannien auch nach dem Austritt aus der Zollunion weiter EU-Zölle erheben und nach Brüssel abführen. Um unabhängig davon die Handelsbeziehungen mit anderen Staaten zu regeln, soll Großbritannien zukünftig eigene Zölle erheben. Dabei bleibt bis auf Weiteres offen, wie dies von den EU-Zöllen getrennt werden soll.

Den Hardlinern ist das Weißbuch zu weich, den Befürwortern eines soften Brexits nicht weich genug.

  

Ebenso im Interesse der Öffentlichkeit stand die Debatte um die Freizügigkeit für EU-Bürger. Das Weißbuch bestätigt, dass diese mit dem Brexit endet. Mit umfangreichen Sicherheitskontrollen an den Grenzen werde man die Zahl der Zuzügler kontrollieren, so Brexit-Minister Dominic Raab. Gleichzeitig wird aber auch ein Vorschlag präsentiert, der hochqualifizierten Fachkräften und Studenten den Zuzug erleichtert und auch für Touristen keine Beschränkungen vorsieht. Insgesamt liefert das Weißbuch hier vorerst nur ein Konzept, ohne eine konkrete Gestaltung zu nennen, die für Brüssel akzeptabel wäre.

Britischen Medienberichten zufolge hat Premierministerin Theresa May verlauten lassen, dass an ihrem Konzept nicht mehr zu rütteln sei. Vor diesem Hintergrund haben die ablehnenden Stimmen aus Brüssel zum Weißbuch die Angst vor einem No-Deal-Szenario auf beiden Seiten wachsen lassen.

Sie bekommen das Update noch nicht?

Melden Sie sich hier an und bleiben Sie stets informiert.