@HTAI, 16.03.2022 Stimmen zum Brexit

„Wir bleiben eine Wertegemeinschaft“

Auf die Übergangsphase folgt die Neugestaltung – das gilt auch für die Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien nach dem Brexit. Mit Dr. Ulrich Hoppe, Director General der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in London, sprechen wir über die veränderten Formalitäten und das, was Großbritannien und die EU auch nach dem Binnenmarkt verbindet.

Portraitfoto von Dr. Ulrich Hoppe
Dr. Ulrich Hoppe, Director General der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in London, im Gespräch. © AHK London

„Im Endeffekt müssen jetzt alle Zollformalitäten erledigt sein, bevor Waren an der Grenze eintreffen“, bringt Dr. Ulrich Hoppe, Director General der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in London, zum Gesprächseinstieg auf den Punkt, was sich mit dem Ende der Übergangsphase zum Jahresanfang verändert hat. Der 1. Januar 2022 markierte einen weiteren Meilenstein im Brexit-Prozess, der mit einem Referendum im Juni 2016 begann. Zum 1. Februar 2020 trat das Austrittsabkommen endgültig in Kraft und zum 1. Januar dieses Jahres endeten die Übergangsregelungen für die Wareneinfuhr aus der Europäischen Union nach Großbritannien. Fast 50 Jahre, ein halbes Jahrhundert, war Großbritannien Teil des Europäischen Binnenmarktes. Nun gilt es, die Handelsbeziehungen neu zu sortieren.

„Wir haben deutsche Unternehmen mit einem breiten Angebot an Veranstaltungen und Webinaren unter anderem zu Steuer- und Zollfragen sowie dem Thema Ursprungsnachweis und Kennzeichnungspflicht begleitet“, erklärt Dr. Ulrich Hoppe mit Blick auf die drängenden Themen der Post-Brexit-Zeit. „Im Großen und Ganzen laufen diese administrativen Themen ganz gut. Wir stellen aber auch fest, dass es großen Unternehmen oftmals leichter fällt und fiel als kleinen Unternehmen. Einfach, weil ihnen andere Ressourcen zur Verfügung standen. Viele der kleineren Unternehmen waren bis dato zudem nur im Europäischen Binnenmarkt tätig, nun wird bei Handelsbeziehung nach Großbritannien daraus Handel mit einem Drittstaat. Am Ende ist alles lösbar, die administrativen Aufwände verursachen aber natürlich finanziellen Mehraufwand.“

Am Ende ist alles lösbar, die administrativen Aufwände verursachen aber natürlich finanziellen Mehraufwand.

DR. ULRICH HOPPE, Director General der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer

Es braucht einen längeren Planungshorizont

Das große Chaos und die meterweise leeren Regale sind nicht Realität geworden. „Logistiker berichten uns, dass etwa das Pre-Lodgement-Modell, das in den Roll-on-Roll-off-Häfen wirkt und bei dem die Zollanmeldung vorab erfolgen muss, sehr gut funktioniert, nur wenige LKW werden rausgewunken“, berichtet Dr. Ulrich Hoppe. „Wenn es um den 1. Januar 2021 herum etwas gehakt hat, dann, weil viele Logistikunternehmen ihre LKW gar nicht erst losgeschickt haben, um Staus und Verzögerungen zu vermeiden.“ 

Dennoch gibt es Stolpersteine, die je nach Branche unterschiedlich geartet und unterschiedlich groß sind. „Das Thema Wareneinfuhren ist besonders für Lebensmittelhändler ein heißes Eisen, die zeitkritische Waren exportieren und darauf angewiesen sind, sehr genaue Lieferketten einzuhalten“, erläutert Hoppe einige der Herausforderungen. „Ein branchenspezifisches Thema sind die Anforderungen an tierische Erzeugnisse wie etwa Fleisch, Fisch, Eier oder auch Honig, Milch und Gelatine. Für diese Produkte treten zu unterschiedlichen Stichdaten in diesem Jahr neue Vorgaben in Kraft. So muss 24 Stunden vor Einfuhr die Voranmeldung erfolgen und die Einfuhr ist ab Juli 2022 nur noch über bestimmte Einfuhrzollstellen erlaubt“, so Hoppe. Andere tierische Erzeugnisse, wie etwa gekühltes Hackfleisch, dürften ab Juli gar nicht mehr eingeführt werden.

Southampton Docks im Sonnenuntergang
Auch nach dem Brexit: Häfen bleiben ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt im Warenverkehr zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. © istockphoto.com /hcusbo
Wo wird es zukünftig auseinandergehen?

Die administrativen Fragestellungen, die sich aus dem EU-Austritt Großbritanniens ergeben, bedeuten vor allem einen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand für Unternehmen. Sie sind aber etwas, das sich mit der Zeit einspielen wird und wo keine großen Stolpersteine zu erwarten sind. Ganz anders sieht es beim Blick auf den regulativen Rahmen aus. „Es gibt viele Bereiche, wie etwa Life Science, Finanzdienstleistungen, Datenschutzvorschriften oder Zukunftsindustrien wie künstliche Intelligenz, bei denen sich Großbritannien zukünftig stark positionieren will“, gibt Dr. Ulrich Hoppe zu bedenken. „Da werden wir beobachten müssen, in welche Richtung Großbritannien sich orientiert und wie stark die EU der Maßstab sein wird. Es ist schwer abzusehen, ob in diesen Fragen die Chancen oder Hürden überwiegen werden.“

Und neben politischen Stolpersteinen wie der Nordirlandfrage bleibt das Thema Aufenthaltsrecht ein heißes Eisen: „Aufenthalts- und Immigrationsthemen sind eine Schwierigkeit, gerade im Bereich der physischen Dienstleistungen. Dort brauche ich jetzt ein Visum und habe weniger Flexibilität – in beide Richtungen, denn jeder EU-Mitgliedsstaat hat sein eigenes Aufenthaltsrecht. Da hoffen wir, dass noch einmal nachverhandelt wird“, fasst Dr. Hoppe zusammen.

Es bleibt eine Wertegemeinschaft

Pandemie, Klimawandel, Krieg in der Ukraine – die Post-Brexit-Zeit wird überschattet von vielen drängenden Themen. Ulrich Hoppe sieht in der Reaktion auf Krisen aber auch eine Chance für die zukünftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien: „Mehr denn je sind wir aufgefordert, Gesprächskanäle offenzuhalten, uns auf gemeinsame Werte zu besinnen und uns zu vernetzen. Wir stehen vor Herausforderungen, die wir nur gemeinsam lösen können. Wir bleiben eine Wertegemeinschaft.“

Wir stehen vor Herausforderungen, die wir nur gemeinsam lösen können. Wir bleiben eine Wertegemeinschaft.

DR. ULRICH HOPPE, Director General der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer

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